Bettina Götz und Richard Manahl, ARTEC Architekten
Erschienen in Josef Lackner, Herausgegeben vom Architekturforum Tirol, Pustet Verlag, Salzburg, 2003
Die Beziehung zu Lackner und seinem Werk ist für uns eine Sicht aus der Distanz: Das Aufeinandertreffen ist auf einen Vortrag in der Wiener Zentralvereinigung mit anschliessendem Gespräch beim Essen beschränkt.
Trotzdem ist das Werk von Lackner für uns eine der Inspirationsquellen, viele davon gibt es in Österreich nicht.
Lackner hat Bauten geschaffen, die dem Raumschöpfungsprojekt der Moderne eigene Aspekte hinzugefügt haben: Zum Gebäudekomplex der Ursulinenschule in Innsbruck gibt es wenig Vergleichbares, was Neudefinition und Auslotung der räumlichen Möglichkeiten innerhalb eines geometrisch einfachen Umrisses betrifft.
Das Faszinierende an seiner Architektur und gleichzeitig der Gewinn für die eigene Arbeit liegt für uns aber zuerst in der Herangehensweise, im stringenten Gerüst seines Entwurfsverhaltens - dem „Konzept“ - begründet: Jedes Projekt folgt seiner eigenen, nie zweimal verwendeten Anleitung. Diese Vorgangsweise bindet die unterschiedlich anmutenden, oftmals sperrig auftretenden, Bauten und Projekte zu einem großen „Werk“ zusammen.
Er entwickelt für jedes Projekt seine eigene Logik und unterwirft alle weiteren Entscheidungen - zum Teil mit Ausnahme der Materialfragen - diesen Bildungsgesetzen. So entstehen Gebäude, die nicht formalen Wünschen oder Obsessionen folgen, sondern deren Erscheinungsformen sich aus einem jeweiligen Konzept quasi selbst generieren.
Lackner setzt sich dadurch ab von dem, was während seiner Hauptschaffenszeit übliche Vorgansweise war und heute auch erfolgreich der Fall ist: die Schaffung von Gestaltelementen, die für die Wiederholung konzipiert und auf erhöhte Aufmerksamkeitswirkung optimiert werden: der Stil. Lackners Stil ist das Konzept, wobei je nach Aufgabe, Ort, Problem völlig unterschiedliche Herangehensweisen möglich sind.
Als Konsequenz ergibt sich ein vielfältiges und vielschichtiges Werk, niemals glatt und langweilig, sondern anregend, oft überraschend und immer entschlüssel- und erklärbar.
An Lackner gefällt uns das Eigen-Artige, sogar Bizarre.
Sein Ding ist der Raum, räumliche Bestandteile werden definiert und zu einem Ganzen verwoben, übrig bleibt kein Rest. Das Erscheinungsbild der Raumfiguren in ihrer Materialisierung ist häufig irritierend, manchmal schwer zu enträtseln, und immer wird der Interessierte mit einer wundersamen Verflechtung belohnt, die das zuvor als spröd empfundene Objekt zu einer eigenartigen, aber selbstverständlichen Gestalt werden lassen.
Das Thema ist nie die nutzungsneutrale Hülle, immer ist es eine räumliche Qualität - eine Erfindung als Antwort auf ein allgemeines Problem.
Josef Lackner haben wir zum Glück schon früh während des Studiums im „Achleitner“ [1] für uns als interessant entdeckt:
Das Grottenbad Flora oberhalb von Innsbruck, eine räumliche Skulptur - spielerisch, witzig, aber ganz eindeutig und scharf gedacht:
Ein kleiner Raum, insbesondere für ein Hallenbad, der seine Winzigkeit aber nicht preisgibt, weil er von keinem Punkt im Raum aus ganz überblickt werden kann und so immer ein bisschen ein Geheimnis bleibt. Dazu das Licht nur von oben und ein einziges Material (Beton), mit dem die komplexe Raumform ganz und einfach bewältigt werden kann.
Das hat uns auch gezeigt, dass Architektur keine Frage der Größenordnung ist. Obwohl wir das Bad bis heute nie besichtigen konnten, ist es für uns ein Schlüsselwerk, schon im Studium in Graz und jetzt auch noch.
Seltsamkeiten in der Wahl der Mittel gibt es häufig:
Die Definition der Klosterzelle als eigenes Haus gelingt durch das Anbringen von Dachziegeln an der Gangwand, ein Materialeinsatz, der nicht gerade aus der reinen Funktion abgeleitet werden kann - und trotzdem kommt der Verdacht des (postmodernen) Zierrats und Zitats auch nicht im Ansatz auf.
Eine auf den ersten Blick alltägliche Wohnanlage irritiert durch einen scheinbar willkürlichen Höhenversatz und eine zufällig wirkende Fassadenordnung.
Als „einfacher Wohnbau“ bezeichnet schafft es ein simpelster Grundriss durch seine präzise Lage und die Ausreizung der Aufschließung den Bau selbst zu modulieren:
Wohnungszugänge von beiden Podestseiten einer doppelläufigen Stiegenerschließung versetzen das Gebäude jeweils um ein halbes Geschoß und artikulieren so Zu- und Durchgänge (die unterste Wohnebene ist bereits um ein Halbgeschoß vom Geländeniveau abgehoben - was natürlich belichtete Nebenräume bringt).
Diese Auf und Ab macht zusammen mit der scheinbar willkürlich gesetzten Erkerverteilung - die Fensteranordnung ist natürlich nicht „entworfen“, sondern ergibt sich aus den dahinterliegenden unterschiedlichen Wohnungstypen - den einfachen Wohnbau zu einem einzigartigen Wohnbau.
Die komplex und zugleich übersichtlich und großzügig organisierten Raumschichtungen der Bauten für Wüstenrot (in Salzburg) und die Jenbacher Werke sind (wie Lackner selbst betont) in der Bürohausarchitektur tatsächlich Einzelleistungen, geschaffen für neue Ansprüche des Arbeitens und ausgestattet mit dem Luxus des Raums und der Raumbeziehungen.
Der Wunsch nach vorbildlichen Computerarbeitsplätze bestimmt beim Wüstenrot Gebäude den Schnitt und damit die Gesamtkonzeption. Bis zur Fassade (was offen ist, was geschlossen bleibt, beachtenswert der Bezug von der innenliegenden Erschließung zum Ausblick) werden alle Entwurfsentscheidungen diesem Ansatz unterstellt.
Auf den ersten Blick können Lackners Gebäude oft irritieren, ja erschrecken ob ihrer Sperrigkeit und Uneleganz.
Bei genauerer Betrachtung stellt sich dann allerdings heraus, dass es sich eben um gebaute Konzepte handelt, die man entschlüsseln kann und die ihre Schönheit dann auf den zweiten Blick aus ihrer inneren Stimmigkeit beziehen.
Zwei Kirchen gibt es in Wien von ihm: die Konzilgedächtniskirche in Lainz hat die Jahre praktisch unbeschädigt überstanden, hingegen ist das Pfarrzentrum in der Krottenbachstraße soeben durch eine sogenannte „Sanierung“ ruiniert worden.
Seine Gebäude sind das ehrliche Ergebnis des unterlegten Prinzips:
Es entsteht ein Bild, das manchmal fast schrill, manchmal beiläufig und zufällig wirkt, das aber nur durch das Befolgen der dem Projekt zugrunde gelegten Entwurfsregeln entstanden ist.
„Ideen sollten unser Handeln bestimmen. Die Architektur drückt Ideen aus – oft fehlen diese und man baut trotzdem“ [2]
[1]
Friedrich Achleitner, Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert, Band I, Residenz Verlag, 1980
[2]
Seite 20